politische Ökonomie: Public-Choice-Theorie

politische Ökonomie: Public-Choice-Theorie
politische Ökonomie: Public-Choice-Theorie
 
Die Public-Choice-Theorie ist im Grenzgebiet zwischen Wirtschafts- und Politikwissenschaften angesiedelt und Teil der neuen politischen Ökonomie. Sie beschäftigt sich mit der Erklärung von wirtschaftspolitischen Entscheidungen in einer Demokratie. Der Ausdruck Public Choice (»öffentliche Wahl«) bildet begrifflich den Gegensatz zu den Wahlhandlungen, die von Haushalten und Unternehmen im Hinblick auf private Güter auf dezentralen Märkten vorgenommen werden (»Private Choice«).
 
 Ablehnung eines naiven Politikbildes
 
Die Vordenker dieses politökonomischen Denkansatzes wie etwa der amerikanische Wirtschafts-Nobelpreisträger James M. Buchanan (* 1919) lehnen die traditionelle Sicht der Wirtschaftspolitik ab, wonach die wirtschaftspolitischen Akteure in erster Linie das Allgemeinwohl vor Augen haben. Sie halten einen solchen idealistischen Ansatz für naiv. So finden die wirtschaftspolitischen Ratschläge von Experten nur selten Gehör, und es gelingt z. B.kaum, die gemeinwohlschädliche Subventionierung gut organisierter Lobbys abzubauen. Regelmäßig kommt es auch zum Missbrauch fiskal- und geldpolitischer Instrumente, um einen kurzzeitigen Konjunkturboom vor einer Wahl (politischer Konjunkturzyklus) zu erzeugen. All das dürfte es bei nur dem Gemeinwohl verpflichteten Regierungen nicht geben.
 
Neben ihrem Erklärungsmangel für reale wirtschaftspolitische Phänomene beruht die naive Sichtweise zudem auf einer grundlegenden methodischen Widersprüchlichkeit. Seit Adam Smith (1723 - 1790) geht die ökonomische Theorie bei der Analyse des Verhaltens privater Haushalte und Unternehmen davon aus, dass diese im Rahmen der gegebenen Einschränkungen ihren Nutzen bzw. Gewinn maximieren. Diese Annahme stellt den Grundansatz des ökonomischen Denkens dar. Vor diesem Hintergrund ist die idealistische Sichtweise der Wirtschaftspolitik ein unverständlicher methodischer Bruch. Warum sollte ausgerechnet der Politiker auf die Maximierung seines Eigeninteresses verzichten, während dies doch die weithin akzeptierte Verhaltensannahme für Haushalte und Unternehmen darstellt?
 
 Auch der Politiker maximiert Eigennutz
 
Folgerichtig beseitigt die Public-Choice-Theorie diese Wiedersprüchlichkeit und wendet das ökonomische Kalkül der Nutzenmaximierung unter Nebenbedingungen auch auf das politische System an. Politiker (ebenso wie Beamte und Lobbyisten) werden demgemäß in Analogie zu üblichen Wirtschaftsakteuren als rational und eigennutzmaximierend modelliert. Im Streben des Politikers spielt die Wiederwahl eine überragende Rolle: Sie allein sichert den Machterhalt und damit Privilegien wie Einkommen und Prestige. Mit diesem Ansatz werden nun viele wirtschaftspolitische Realitäten besser verständlich. Für den an seiner Wiederwahl interessierten Politiker zählt nicht, was der Experte zur langfristigen Problemlösung empfiehlt, wenn dies Stimmenverluste bei der nächsten Wahl erwarten lässt. Gemeinwohlschädliche Subventionen zugunsten von Interessengruppen etwa können die Wiederwahlchancen einer Regierung positiv beeinflussen. Dies gilt dann, wenn eine Interessengruppe (z. B.die Landwirte oder die Steinkohlekumpels) sehr gut organisiert ist und medienwirksam gegen Kürzungen protestieren kann. Diesen durchsetzungsfähigen Interessengruppen gegenüber sind die Gruppen, die am Ende für die Subventionen aufzukommen haben, weniger gut organisiert: Steuerzahler und Verbraucher haben keine effektive Interessenvertretung. Für den einzelnen Steuerzahler ist die Mehrbelastung zugunsten der Steinkohle relativ gering und bietet ihm kaum Anlass, sich dagegen zu wehren (Trittbrettfahrerproblem). Der Steinkohlekumpel hingegen hat einen massiven Anreiz öffentlich zu demonstrieren.
 
Der Missbrauch der Geldpolitik zur kurzfristigen Beschäftigungssteigerung kann ebenfalls politökonomisch erklärt werden: Auch wenn eine expansive Geldpolitik kein Mittel zur Verringerung der strukturellen Arbeitslosigkeit ist, kann sie kurzfristige Effekte um den Preis eines mit Verzögerung eintretenden Inflationsanstiegs erzielen. Kann eine Regierung die Geldpolitik beeinflussen, wird sie dies nutzen, um rechtzeitig vor der Wahl ein konjunkturelles Strohfeuer zu entfachen.
 
 Empfehlungen haben institutionellen Charakter
 
Die Empfehlungen der Public-Choice-Theorie richten sich folglich v. a. auf institutionelle und verfassungsmäßige Reformen mit der Zielsetzung, die Eigennutzorientierung der Politik in Übereinstimmung mit dem Allgemeinwohl zu bringen. Auf dem Gebiet der Geldpolitik etwa lautet die klare Empfehlung, die Zentralbank unabhängig vom Einfluss der Regierung zu machen-eine Empfehlung, die inzwischen in vielen Industrieländern nach leidvollen Erfahrungen mit hohen Inflationsraten z. B. mit der Europäischen Zentralbank umgesetzt ist. Eine weitere Schlussfolgerung betrifft die Beurteilung staatlicher Interventionen bei Marktversagen: Liegt Marktversagen vor, dann verbessern Interventionen des Staats nicht unbedingt die Lage, weil die Gefahr des Politikversagens besteht.

Universal-Lexikon. 2012.

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